Noah und die sechsarmigen Riesen

Artikel aus der Zeitschrift »Entscheidung«, Ausgabe 2/2014

21.3.2014

Ab 3. April macht sich Oscarpreisträger Russel Crowe als »Noah« im Kino daran, Menschheit und Tiere vor der Sintflut zu retten. Timo Roller beschäftigt schon seit Jahren mit der Geschichte über die Arche. Er verrät, wie viel Bibel wir auf der großen Leinwand erwarten können.

Timos Artikel

Vor 13 Jahren standen Russell Crowe und Jennifer Connelly schon einmal gemeinsam vor der Kamera: Ihr Film »A Beautiful Mind« wurde mit vier Oscars prämiert. Nun spielen die beiden die Hauptrollen in der Verfilmung einer der bekanntesten Geschichten überhaupt: die Rettung der Menschheit vor der Sintflut. Crowe verkörpert Noah, Connelly dessen Frau Naama. Für Drehbuch und Regie zeichnet sich Darren Aronofosky (»Black Swan«, »The Wrestler«) verantwortlich. Er ist berühmt für seine eindrücklichen und oft verstörenden Inszenierungen.

Moment mal: Noahs Frau heißt Naama? Bibelkenner werden nicht nur an dieser Stelle die Stirn runzeln: Nachdem sich Noahs Aussage »Ich bin nicht allein!« gegenüber seinem Erzfeind im vorab veröffentlichten Trailer noch nach einem Glaubensbekenntnis anhört, wird sich im Film an dieser Stelle wohl eine Überraschung offenbaren: Noah bekommt Hilfe von sechsarmigen Riesen, die ihm beim Bau der Arche helfen und ihn gegen Feinde verteidigen: die Nephilim.

Viele Gläubige werden den Kinostreifen möglicherweise schnell als grandiosen Humbug abtun. Nach ersten Testvorführungen in den USA äußerten sich Christen und Juden bereits kritisch und riefen zum Boykott auf. Der Trailer sei ein großer Schwindel, denn er erwecke den Eindruck, dass der Film sich eng an die biblische Vorlage halte.

Cover
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift »Entscheidung« erschienen.

Sorgfältige Bezüge

Interessant ist: Naama wird in der Bibel tatsächlich erwähnt – als Schwester von Tubal-Kain. [1] Dass sie Noahs Frau war, steht dort allerdings nirgends. Diese Vermutung geht jedoch auf das rabbinische Judentum zurück und ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Naama ist die einzige Frau in der biblischen Urgeschichte, die scheinbar ohne bestimmten Grund erwähnt wird. Dies legt zumindest die Vermutung nahe, dass sie tatsächlich eine besondere Rolle gespielt hat.

Ich habe den Eindruck, dass sich Regisseur Darren Aronofsky sehr sorgfältig mit der Bibel und weiteren religiösen Überlieferungen auseinandergesetzt hat. Die Vorgeschichte der sechsarmigen Riesen beschreibt er im Comic, der auf dem Drehbuch des Films basiert [2]: Sie kamen als gefallene Engel auf die Erde, um sich mit den Menschen einzulassen. Im Trailer ist dies zu sehen, wenn Feuerbälle vom Himmel fallen.

In der Bibel gibt es direkt vor dem Sintflutbericht eine kurze Anmerkung zu den »Gottessöhnen« und »Menschentöchtern«, aus deren Verbindung die »Riesen« hervorgingen, hebräisch »Nephilim«. [3] Diese Nephilim waren »die Helden der Vorzeit, die hochberühmten«. Was genau unter diesen Wesen zu verstehen ist, wird aus dem Bericht nicht klar und es bestehen große Meinungsverschiedenheiten darüber. [4] Einerseits könnten überirdische Wesen gemeint sein, andererseits Menschen, die gegen Gottes Vorstellungen gehandelt haben. In der apokryphen Schrift »Buch Henoch« [5], das schon in vorchristlicher Zeit entstanden ist aber sicherlich nicht die Autorität der Bibel besitzt, wird sehr detailliert auf die »Nephilim« eingegangen. Sie werden dort als »gefallene Engel« beschrieben. Die Namen, die im Film für die sechsarmigen Riesen verwendet werden, sind offensichtlich aus diesen Schriften entnommen.

Der durchgedrehte Umweltschützer

Vieles in Hollywoods Noah-Version scheint recht nah an die Bibel angelehnt zu sein, wie die Größe der Arche oder die beachtliche Menge von Tieren. Der Film thematisiert auch die dunklen Seiten der Geschichte, die man sich selten vor Augen führt. Noah sagt da beispielsweise: »Wenn sie kommen, kommen sie verzweifelt und in großer Zahl«. Als der Regen einsetzt, stürmen die Menschen zur Arche und flehen um Rettung. Wie schrecklich muss dieses Gericht Gottes wirklich gewesen sein! Und wie oft blenden Christen diese Aspekte aus. Der künstlerische Blick eines Nichtchristen auf eine der größten Geschichten der Bibel kann für gläubige Betrachter ganz neue Facetten eröffnen und uns zum Nachdenken anregen.

Der größte Minuspunkt des Filmes wird aus meiner Sicht aber das Verhältnis zwischen Mensch, Schöpfung und Schöpfer sein. Aus den Comic-Bänden wird deutlich, dass die Sünde der Menschen gegen Gott im Film wohl nur ein Randthema ist. Im Mittelpunkt steht die Schuld gegenüber der Schöpfung. Russell Crowe als Noah denkt darüber nach, dass eine Erde nach der Flut ohne den Menschen – dem Ebenbild Gottes – vorzuziehen wäre. Um das »Schicksal der Schöpfung« sei es besser bestellt, wenn die Menschen nur die Tiere in der Arche retteten und sich selbst danach nicht wieder vermehren würden. Noahs Verhältnis zu Gott scheint kaum eine Rolle zu spielen, die Aufgabe, eine Arche zu bauen, erhält er durch düstere Visionen. Im Internet wurde der Film-Noah als »durchgedrehter Umweltschützer« [6] bezeichnet. Metuschelach (gespielt von Anthony Hopkins), erweckt den Eindruck eines geheimnisvollen Magiers.

Mehr als ein Mythos

Und doch: Warum sollte man nicht ein biblisches Thema – mit scharfem Blick und wachem Verstand – aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachten? Gute Nerven vorausgesetzt – der Gestaltung des Comics nach halte ich eine Freigabe erst ab 16 Jahren für wahrscheinlich – eignet sich der Film jedenfalls hervorragend, um mit Kinofans ins Gespräch über den christlichen Glauben zu kommen.

Superhelden, Monster, Mittelerde – Kinobesucher sind an Fantasy-Gestalten gewöhnt. Und die Medien werden möglicherweise im Blick auf den Film den Eindruck vermitteln, dies sei nur fromme Fantasy. Nur wenige glauben heute noch, dass die Geschichte von Noah, der Arche und der Sintflut mehr war als ein religiöser Mythos.

Ich bin überzeugt, dass die biblische Erzählung wahr ist. Sie ist eine der am besten bezeugten Geschichten, bekannt aus jahrtausendealten Überlieferungen und bestätigt durch Entdeckungen auf Keilschrifttafeln. Am berühmtesten ist das Gilgamesch-Epos, das nach über 2500 Jahren im 19. Jahrhundert neu entziffert wurde. Jüngst hat zudem ein britischer Wissenschaftler eine »Arche-Tafel« präsentiert, die genaue Angaben zum Bau eines Schiffes enthält, um Menschen und Tiere vor einer Flut zu retten. Aufgeschrieben wurde diese Bauanleitung etwa 1700 v.Chr.! Und so viele offene Fragen es zur Arche Noah auch noch gibt – so sprechen doch wichtige Argumente dafür, dass einst eine gigantische Katastrophe die Menschheit heimgesucht hat und nur wenige in einem Schiff überlebten, weil Noah vor Gott Gnade fand. [7]

Ich jedenfalls werde mich hineinnehmen lassen, wenn der furiose Geschichtenerzähler Darren Aronofsky mit einigen der besten Schauspielern unserer Zeit eine der größten Geschichten der Menschheit auf die Leinwand bringt. Und ich werde mich dafür stark machen, dass möglichst viele meiner Mitmenschen erkennen: Das ist mehr als nur Unterhaltung.

Eine aktuelle Rezension von mir erscheint zum Filmstart auf dem Blog der »Entscheidung«

Timo Roller

[1] 1. Mose 4,22

[2] Die ersten drei von vier Bänden sind bereits im Verlag Egmont Comic Collection erschienen

[3] 1. Mose 6,1-4

[4] vgl. Rienecker et al. (Hrsg.):Lexikon zur Bibel 2013, S. 973

[5] Apokryphen sind Schriften, die im griechischen und lateinischen Alten Testament kanonischen Rang besitzen, jedoch nicht in die Hebräischen Bibel – und damit auch nicht in die Bibelübersetzungen der evangelischen Kirchen aufgenommen wurden. Darüber hinaus gibt es auch apokryphe Schriften, die niemals im Judentum bzw. in der Kirche kanonische Geltung erlangt haben. Zu letzteren zählt auch das »Buch Henoch«, das kostenlos als E-Book abrufbar ist unter: www.gutenberg.org/ebooks/4013

[6] http://godawa.com/movieblog/darren-aronofskys-noah-environmentalist-wacko/

[7] 1. Mose 6,8

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